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Die archäo­lo­gischen Funde aus den Ith-Höh­len

Christian Leiber, Ute Steffgen
Braunschweigisches Landesmuseum, 1983

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Diese Seite enthält eine Digitalisierung des schmalen, achtseitigen Faltblattes „Die archäo­lo­gischen Funde aus den Ith-Höh­len“ von Christian Leiber und Ute Steffgen, herausgegeben vom Braunschweigischen Landesmuseum 1983.

Der Inhalt wird auf dieser Seite in einfachster Internet-Formatierung wiedergegeben. Die Abbildungen fehlen derzeit noch.

Als Standwardwerk zu dem Thema wird empfohlen: Kulthöhlen und Menschenopfer im Harz, Ith und Kyffhäuser; Stefan Flindt und Christian Leiber; Verlag Jörg Mitzkat; Holzminden 1998.

Digitalisierung durch Christian Kaese, Eschershausen 2020.






Die Rothesteinhöhle

Schon des Öfteren war die Rothesteinhöhle von Schatzgräbern aufgesucht worden und die Kunde von der Entdeckung zahlreicher Menschenknochen gab der Bevölkerung der umliegenden Ortschalten stets neue Nahrung für die Verbreitung von der Fantasie entspringender Geschichten.

Erstmals 1883 bekam der Student Alfred Wollemann aus Boerssum auf Betreiben des Wolfenbütteler Ortsvereins für Geschichte und Altertumskunde, die Möglichkeit einer Untersuchung der Spaltenhöhle. Wollemann fertigte eine Grundrisszeichnung der Höhle an und eine Profilzeichnung der in ihr abgelagerten Schichten. Nach einer Sinterschicht stieß er bei seinen Grabungen auf eine „schwarze, mit Holzkohlen, Topfscherben und größtenteils zerschlagenen Menschenknochen“ durchsetzte Kulturschicht. An vier „Heerdstellen“ lagen neben Keramikresten Anreicherungen von Menschenknochen. Dem Ausgräber fiel auf, dass die Mark enthaltenden Knochen zerschlagen und angekohlt waren, während alle anderen Knochen keine Beschädigungen aufwiesen, Aus seinen Beobachtungen zog er die Schlussfolgerung, das „„dieselben Reste von einst hier abgehaltenen Mahlzeiten“ auf Anthropophagie (griechisch: anthropos = Mensch; phagein = essen) hinweisen.

An den Herdstellen und in einem Knochenhaufen fand Alfred Wollemann sechs Gegenstände, vier aus Bronze und zwei aus Knochen. lm einzelnen handelt es sich um ein Randleistenbeil aus Bronze, dem das Schneidenteil fehlt, eine bronzene Dolchklinge mit zwei Nietlöchern – an den Nietlöchern der Klingen war ursprünglich ein Griff aus vergänglichem Material, möglicherweise Holz, befestigt – eine Bronzedrahtspirale mit zugespitztem Ende, eine Knochennadel mit einer den Kopf vom Hals trennenden Einschnürung und ein Knochenpfriem (Abbildung 1).

In den folgenden Jahrzehnten wurden vereinzelt weitere Funde geborgen.

Siebzig Jahre nach der ersten Grabung durch Alfred Wollemann, konnte von dem Schüler des Holzmindener Landschulheims, Friedrich Wilhelm von Hase und dem Kreisheimatpfleger Curt Sauermilch 1953 in einer bisher unberührt gebliebenen Seitenspalte der Rothesteinhöhle ein neuer Fund geborgen werden.

Auf einer Steinplatte waren eine Bronzedolchklinge mit vier Nietlöchern – die Spitze fehlt –, eine Dolchklinge ohne Nietlöcher, ein noch in der Knochenschäftung steckender Bronzepfriem, drei aus Bronzedraht gefertigte Noppenringe, ein bandartiger Bronzespiralring und ein Knochenpfriem deponiert (Abbildung 2). Des Weiteren wurde auf oder neben der Platte die Schädelkalotte eines Kindes gefunden.

Die vorgenannten Funde werden der Aunjetitzer Kultur zugeordnet, das heißt sie werden in die frühe Bronzezeit datiert.

Die Aunjetitzer Kultur, benannt nach einem Fundort bei Prag, ist in Mitteleuropa verbreitet. Ihr Vorkommen in Niedersachsen mit einem deutlichen Verbreitungsschwerpunkt im nördlichen Harzvorland zeigt die Karte in Abbildung 5. Die Ith-Höhlen bei Holzen markieren hierauf einen der westlichst gelegenen Fundorte.

Auch in jüngeren Epochen ist die Höhle wiederholt aufgesucht worden. Davon zeugt z. B. eine eiserne Schwanenhalsnadel mit seitlich angesetztem Kupferknopf aus der frühen Eisenzeit (700–500/450 v. Chr.).

Unter dem geborgenen Fundmaterial treten auch verzierte Keramikscherben auf, die in die späte Eisenzeit (500/450 v. Chr.–Chr. Geb.) oder in die frühe Kaiserzeit (Chr. Geb.–150 n. Chr.) datiert werden.

Ebenso haben Menschen aus dem Mittelalter ihre Spuren in der Rothesteinhöhle hinterlassen. Bruchstücke von irdenen Gefäßen, teilweise mit einer braunen Bemalung, lagen im Gesteinsschutt.

Während davon ausgegangen werden kann, dass die Rothesteinhöhle in der frühen Bronzezeit als Kultstätte gedient hat, ist nicht sicher zu welchen Zwecken die Menschen der folgenden Zeit sich dort aufgehalten haben. Zumindest scheinen die Funde nicht für einen längeren Aufenthalt zu sprechen.

Abbildung 1 Rothesteinhöhle: Funde der Grabung Wollemann 1883 Abbildung 2 Rothesteinhöhle: Funde der Grabung von Hase 1953

Die Soldatenhöhle

Die Soldatenhöhle wurde 1911 von dem Hildesheimer Apotheker Dr. Joesting untersucht.

Unter dem von der Decke herabgestürzten Gesteinsschutt wurden in einer bis zu 30 cm starken Lehmschicht Knochen von verschiedenen Tieren, wie zum Beispiel vom Bären, vom Reh, von der Ziege und von Vögeln gefunden.

Auf ein kurzfristiges Verweilen des Menschen der Vorzeit in der Höhle weist ein geschnitztes, zylindrisches Knochenstück mit einer künstlichen Durchbohrung in Längsrichtung und in Abständen auftretenden, waagerechten Einkerbungen. Es ist ein Halbfertigfabrikat zur Herstellung von Perlen. Als Schmuck an einer Kette getragen wurde der geborgene, durchbohrte Hundezahn. Nicht mehr vorhanden ist ein von Soldaten gefundenes Geweihstück.

In der gleichen Schicht ließen sich noch die Reste einer alten Feuerstelle lokalisieren.

Die von Menschenhand bearbeiteten Gegenstände können zeitlich nicht genauer eingeordnet werden.

Die Nasensteinhöhle

Die Ausgrabung in der Nasensteinhöhle fand im Sommer 1911 ebenfalls unter der Leitung von Dr. Joesting statt. Angeregt wurde diese Untersuchung von dem damaligen Direktor des Roemer-Museums Hildesheim, Prof. Dr. Rudolph Hauthal. Die Funde gelangten geschlossen in die Heimatkundliche Abteilung des Museums.

Das Innere der Nasensteinhöhle wird durch einen in der Mitte des Raumes auftragenden Felsblock der Länge nach in zwei Hälften geteilt – den Südspalt und den Nordspalt.

Die Spalten sind nicht miteinander verbunden und waren zur Zeit der Ausgrabungen weitgehend mit eingestürztem Deckenmaterial verhüllt.

Im Südspalt stieß man nach der Beseitigung des Deckenschuttes in ca. 4,2 m Tiefe auf ein fast vollständig erhaltenes menschliches Skelett. In einer der Augenhöhlen steckte bei der Auffindung ein langer, dünner Pfriem aus dem Wadenbein eines Geiers oder einer Trappe. Aus der gleichen Schicht stammt ein kleines Steinbeil. Tiefer im Inneren des Spaltes entdeckten die Ausgräber zahlreiche Tierknochen. darunter zwei an einem Ende zugespitzte Schienbeinknochen eines Rehes oder Schafes.

Die übrigen Knochen stammen von Hase, Hirsch, Ziege, Wildschwein, Hund, Wolf und Bär.

Reichhaltiger waren die Funde in dem wesentlich größeren Nordspalt. Wie aus den Grabungsaufzeichnungen hervorgeht, lagen hier die Menschenknochen von der Kulturschicht getrennt direkt zwischen den Felsbrocken unter dem eingestürzten Deckenmaterial.

Der Nordspalt erbrachte des weiteren zahlreiche Knochengeräte, darunter Pfrieme, durchbohrte gebogene Nadeln und eine Pfeilspitze aus Knochen (Abbildung 4), ferner eine Hacke aus Hirschgeweih. Daneben fand sich eine große Menge unbearbeiteter Knochen der schon im Südspalt nachgewiesenen Tierarten.

Neben den Werkzeugen wurde auch Schmuck aus Knochen hergestellt, wie etwa eine flache Perle mit Rillenverzierung und sanduhrförmiger Durchbohrung (Abbildung 4). Ebenfalls Schmuckgegenstände waren zwei kleine Bronzespiralen und eine Bronzenadel mit flachgehämmertem, eingerolltem Kopf (Abbildung 4). Möglicherweise wurden auch die entdeckten Fischwirbel (Lachs oder Forelle) und eine durchbohrte Flussmuschel als Perlen bzw. Anhänger getragen. Unter den Keramikfunden sind neben uncharakterisierten Scherben ein Tonschöpfer und ein Becher der Einzelgrabkultur (Abbildung 3) erwähnenswert.

Die zeitliche Einordnung und Deutung der Funde aus der Nasensteinhöhle werden durch die unvollständige Grabungsdokumentation erschwert, so sind die Angaben zur Schichtenabfolge in den Spalten verwirrend und an einigen Stellen widersprüchlich, aussagekräftige Pläne fehlen völlig. Die einfachen Knochenwerkzeuge sind für eine kulturelle und zeitliche Einordnung des Komplexes ungeeignet.

Die kleine Knochenperle und die Bronzenadel weisen auf die frühe Bronzezeit (circa 1800–1600 v. Chr.), dies entspricht der zeitlichen Einordnung der Funde in der Rothesteinhöhle.

Der Becher belegt jedoch, dass die Höhle auch schon im ausgehenden Neolithikum (circa 2000–1800 v. Chr.) von Menschen aufgesucht wurde. Bei der Interpretation des Befundes sind noch viele Fragen offen. Eine längerfristige ständige Besiedlung der Höhle ist aufgrund des spärlichen Fundniederschlages und der Zusammensetzung der Funde auszuschließen.

Die Werkzeuge. das Material, aus dem sie gefertigt sind und die anhand der Knochen nachgewiesenen Tierarten lassen vermuten, dass es sich eher um eine saisonal aufgesuchte Jagdstation gehandelt hat.

Die entdeckten Menschenknochen gehören nach den Grabungsaufzeichnungen nicht zu einer Bestattung. Ob sie jedoch als Zeichen von Kannibalismus gewertet werden können, wie dies bei der Rothesteinhöhle wohl der Fall ist und bei anderen Höhlen, wie etwa den Kulthöhlen bei Bad Frankenhausen am Kyffhäuser sicher nachgewiesen ist, bleibt zweifelhaft. Hier muss die Untersuchung des Knochenmaterials auf entsprechende Merkmale – etwa Schnitt- und Brandspuren – abgewartet werden.

Abbildung 3 Nasensteinhöhle: Becher der Einzelgrabkultur Abbildung 4 Nasensteinhöhle: Funde der Grabung Joesting 1911 Abbildung 5 Verbreitung der Aunjetitzer Kultur in Niedersachsen, nach R. Busch

Die Töpferhöhle

Auch die Töpferhöhle wurde 1911 von Dr. Joesting untersucht. Die recht geräumige Grotte ist durch einen schmalen Gang mit der Nasensteinhöhle verbunden.

Ihren Namen verdankt sie den zahlreichen Scherbenfunden, mit denen unter anderem die Felsnischen verfüllt waren.

Ferner bemerkte Joesting Klumpen aus hellem Ton, der nicht an Ort und Stelle entstanden sein kann und vermutlich das Ausgangsmaterial für die Herstellung der Keramik war.

Bei den Scherben handelt es sich um Reste von dickwandiger und unregelmäßig gebrannter Gebrauchskeramik, die der in der Nasensteinhöhle gefundenen entspricht.

Daneben fanden sich Scherben aus der späten Eisenzeit (500/450 v. Chr.–Chr. Geb.).

Man geht davon aus, dass sich in der Höhle die Werkstatt eines Töpfers befand, auch wenn es keinen Hinweis auf einen Töpferofen gibt. Dieser stand möglicherweise vor der Höhle, oder die Gefäße wurden offen – etwa in glühender Holzkohle – gebrannt.

Die Kinderhöhle

Die Kinderhöhle liegt circa 20 m ostsüdöstlich von der Nasensteinhöhle entfernt.

Nach dem Abräumen der von der Decke im Laufe der Zeit herabgestürzten Kalkbrocken stieß Joesting auf eine Feuerstelle, deren genaues Ausmaß nicht bekannt ist. Zwischen der Asche und der Holzkohle lagen nach Joestings Angaben zahlreiche zerschlagene und angekohlte Tier- und Menschenknochen. In den Nischen waren diese Knochen hoch an die Wand geschichtet. Hier fanden sich die Hirnschalen von zwei Kindern, die absichtlich ineinander gesetzt waren. Diesem Fund verdankt die Höhle ihren Namen.

Als einzige Artefakte wurden ein durchbohrter Menschenzahn und eine längliche Knochenperle mit Rillenverzierung gefunden. Angeregt durch die Funde in der Rothesteinhöhle interpretierte Joesting die Kinderhöhle als Kultstätte, in der auch Menschenopfer vollzogen wurden.

Anhang

Von einer Begehung der Höhlen wird dem Leser dieses Faltblattes abgeraten, da die Verkehrssicherheit in den Höhlen aufgrund der teilweise beträchtlichen Höhenunterschiede im Bodenniveau, der offenen Spalten und des rutschigen Bodens nicht gewährleistet ist und zu folgenschweren Unfällen führen kann.

Literatur

Impressum

Herausgegeben vom Braunschweigischen Landesmuseum, Abteilung Archäologie, Kanzleistraße 3, 3340 Wolfenbüttel, in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum Hannover, dem Landkreis Holzminden und dem Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim.

Text und Gestaltung: Christian Leiber M. A., Ute Steffgen M. A.
Fotos: Ilona Döring, Manfred Wegener
Zeichnungen: Annerose Bekuhrs

Gedruckt mit Mitteln des Landes Niedersachsen
Schutzgebühr: 0,50 DM

Druck: Goetz-Druck KG, Buchdruckerei und Verlag, 3050 Wunstorf 1
Copyright 1983

Titelabbildung: Bronzedolch aus der Rothesteinhöhle